In der Dis­kus­si­on um „Leist­ba­re Mie­ten“ wird immer wie­der ein Schreck­ge­spenst her­auf­be­schwo­ren: Das der Gen­tri­fi­zie­rung. Wel­che Bedeu­tung hat die­ses Phä­no­men für den Miet­markt in Wien?

Im Wie­ner Woh­nungs­markt spie­len Miet­häu­ser aus der Grün­der­zeit eine wich­ti­ge Rol­le. Doch die Zahl der zwi­schen 1848 und 1918 gebau­ten Zins­häu­ser nimmt lau­fend ab. Vom Jahr 2007 bis zum Jahr 2019 ging der Bestand um 2.117 Zins­häu­ser zurück, was einem Minus von etwa 12 Pro­zent ent­spricht. 80 Pro­zent davon wur­den pari­fi­ziert und in Eigen­tums­woh­nun­gen über­führt, der Rest wur­de abge­ris­sen, um Platz für Neu­bau­ten zu schaf­fen.

Robert Musil vom Insti­tut für Stadt- und Regio­nal­for­schung der Öster­rei­chi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten (ÖAW) hat sich gemein­sam mit einem Team aus For­sche­rIn­nen und Archi­tek­tIn­nen die Ent­wick­lung die­ser Grün­der­zeit­häu­ser in Wien genau­er ange­se­hen. Die Ergeb­nis­se der Stu­die wur­den im Ver­lag der ÖAW ver­öf­fent­licht.

Musil uns sein Team sehen in den stark gestie­ge­nen Prie­sen für Eigen­tums­woh­nun­gen den Trei­ber für immer mehr Abris­se und Pari­fi­zie­run­gen. „Zins­häu­ser sind unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen regel­rech­te Geld­druck­ma­schi­nen”, so der ÖAW-For­scher.

„Gen­tri­fi­zie­rung“ ist ein Schlag­wort, das seit den 1980er Jah­ren in Mode gekom­men ist. Es meint den Wan­del eines Stadt­vier­tels von einer Wohn­ge­gend mit unter­durch­schnitt­li­chem Miet­ni­veau und unter­durch­schnit­ti­chem Wohn­stan­dard hin zu einem Nobel­vier­tel. Als Para­de­bei­spiel dient der Prenz­lau­er Berg in Ber­lin. Die­ser ehe­ma­li­ge Ost­ber­li­ner Bezirk war zu Zei­ten der eins­ti­gen DDR ein her­un­ter­ge­kom­me­nes Vier­tel mit halb ver­fal­le­nen Alt­bau­ten. Nach der Wen­de zog es die (West-)Berliner Bohè­me in den Prenz­lau­er Berg. Krea­ti­vi­tät war mehr gefragt als Wohn­kom­fort, vor allem aber viel Eigen­leis­tung, mit denen die Woh­nun­gen nach und nach saniert wur­den. Heu­te woh­nen im Prenz­lau­er Berg vor allem öko­lo­gisch bewuss­te Gut­ver­die­ner, die sich die geho­be­nen Mie­ten auch leis­ten kön­nen. Die künst­le­ri­sche Bohè­me ist wei­ter­ge­zo­gen.

Es gibt den Wan­del – aber Ein­kom­men spielt gerin­ge Rol­le
Wel­che Rol­le spielt Gen­tri­fie­zie­rung für die Stadt­ent­wick­lung Wiens? Eine gerin­ge, mei­nen Musil und sein Team. Um Aus­sa­gen tref­fen zu kön­nen, ana­ly­sier­ten die Wis­sen­schaft­le­rin­nen  die Bio­gra­fien der Zins­häu­ser in aus­ge­wähl­ten Quar­tie­ren. Es zeig­te sich, dass zwar der Anteil der Aka­de­mi­ke­rIn­nen in den betrach­te­ten Wohn­vier­teln deut­lich gestie­gen ist. Das Haus­halts­ein­kom­men spielt beim Wan­del der Bewoh­ner­struk­tur von Zins­häu­sern aller­dings eine gerin­ge­re Rol­le. Bestimm­te, einst für Zins­häu­ser prä­gen­de Zuwan­de­rungs­grup­pen – vor allem jene mit tür­ki­schem oder ex-jugo­sla­wi­schem Migra­ti­ons­hin­ter­grund – sind inzwi­schen in ande­re Seg­men­te des Woh­nungs­mark­tes abge­wan­dert, in Eigen­tums- oder Gemein­de­woh­nun­gen.

Sozia­ler Wohn­bau bremst
„Das Erklä­rungs­mo­del ‚Gen­tri­fi­zie­rung’ funk­tio­niert in Chi­ca­go oder Lon­don gut“, erklärt Musil. Unter­schied­li­che Regu­lie­run­gen, poli­ti­sche Macht­ver­hält­nis­se und his­to­risch gewach­se­ne Struk­tu­ren im Wohn­bau machen es aller­dings schwie­rig, städ­ti­sche Woh­nungs­märk­te direkt zu ver­glei­chen. „In Wien mit sei­nem sozia­len Wohn­bau müs­sen wir viel­leicht ande­re Erklä­rungs­an­sät­ze fin­den. Zwar ist der Ver­drän­gungs­druck in bestimm­ten Quar­tie­ren der Grün­der­zeit in Wien beträcht­lich. Betrach­tet man die gesam­te Stadt, ist das Aus­maß der Gen­tri­fi­zie­rung über­schau­bar. Hier bremst der hohe Anteil an kom­mu­na­lem und geför­der­tem Wohn­bau“, fasst Flo­ri­an Brand, Ko-Autor der aktu­el­len Stu­die, zusam­men. Fazit: Es wird viel über Gen­tri­fi­zie­rung gere­det. Der Grö­ße des Phä­no­mens „Gen­tri­fi­zie­rung“ ent­spricht das Aus­maß der Debat­te aber nicht.

Getrie­ben wird der Wan­del im Zins­haus­seg­ment übri­gens von sehr unter­schied­li­chen Akteu­ren, wie die Forscher/innen her­aus­fan­den: Von klei­nen Hand­werks-Unter­neh­men bis zu gro­ßen Akti­en­ge­sell­schaf­ten ist alles dabei. Über­ra­schend war für das For­scher­team die Finan­zie­rungs­sei­te der Trans­for­ma­ti­on am Wie­ner Zins­haus­markt: „Es zeigt sich, dass hier häu­fig nicht inter­na­tio­na­le Ban­ken die Geld­ge­ber sind, son­dern klei­ne, regio­na­le Kre­dit­in­sti­tu­te, von Gmünd bis Blu­denz, die bei der Kre­dit­ver­ga­be fle­xi­bler sind. Das wer­den wir uns in einer wei­te­ren Stu­die genau­er anse­hen”, so Robert Musil.

Quel­le: ÖAW